TROMMELN IN DER NACHT
drei zeitgenössische Szenen nach Brecht.
Chana Tausendfels & Yehuda Shenef
40 Seiten, 5 €
ISBN: 978-3-7347-4426-6
TROMMELN IN DER NACHT
drei zeitgenössische Szenen nach Brecht.
Chana Tausendfels & Yehuda Shenef
40 Seiten, 5 €
ISBN: 978-3-7347-4426-6
NUN WO ALL DIE FLIEGEN STERBEN
Und nun, wo all die Fliegen sterben
Wer wird sie nun beerben?
Sie kitzelten die Nasen
Nun bleiben sie den Hasen.
Sie kitzelten die Ohren
Mit Juckreiz in den Poren.
Sie kitzelten die Lippen
Als wollte sie was nippen.
Doch nun, die Fliegen sterben
Und wollen wir sie beerben?
Wollen wir all die Sachen
Anstatt der Fliegen machen?
Ich mein, das wird nichts werden
Schon gar nicht hier auf Erden.
Mir dünkt das ob der Fliegen
Vielleicht wir besser schwiegen.
DIESER WIND
Wie Knödel sitzen die Tauben
satt und träge wie Steine im Wind
der umgarnt sie wie der Strom beim Tauchen
taucht hinab und ist mein Kind
dieser Wind …
*
Man blickt zurück und denkt an sich
wie man einst war und sich erträumte
doch wie immer, war’s so nicht
man war so taub, dass man‘s versäumte
*
Jener Wind der uns wie Schnittblumen entnabelte
er weht uns durch Leben hin und her
und immer wenn der Weg sich gabelte
wurden die Beine … tonnenschwer
*
So sitzen die Tauben starr wie Steine
und fürwahr das Ganze wär‘ ein Segen
stolperten nicht unsere Beine
und die Hälfte strikt dagegen
*
Wir tauchen auf, wir tauchen ab
und wir trinken flaschenweis‘ Absinth
und dann: werden die Tage knapp
an den Ecken hier im Labyrinth
ach, dieser Wind …
*
* * *
(Chana Tausendfels, 14. September 2009)
.
Man darf nicht alles glauben, was man sich so denkt
Man soll auch nicht behalten, was man einem so schenkt
Und selbst mit der Liebe, sollte man doch spar’n
Um andere vor Schaden zu bewahren
.
Solang wir noch nicht wissen
Was Losigkeit bedeuten sollte
Sollten wir nicht behaupten
Das man sie selbst je wollte
.
Drum machen wir uns ehrlich
Denn: alles and‘re ist entbehrlich
.
(Chana Tausendfels, … Oktober 2015)
.
Zweck & Bester
die Würde des Menschen
– heißt es kalt –
sei unverletzlich
grad wie die Fülle der Wünsche
unermesslich
wie am Himmel die Sterne
wie die Körner am Meer
man hat alle gerne,
aber gibt kaum was her
und so fühlt sich noch ein jeder
der eine früher, der andre später
als der Menschen Letzter
als finaler Zweck & Bester
(Yehuda Shenef, 7. Oktober 2015, כ“ה תשרי תשע“ו)
The Unintended San Francisco Conventicle
(note on a nameless suicide)
praying like a horse, goes without saying
since all night long someone is paying
thriving coped at an advanced course
look all those smart and lovely people
who qualify to be your therapist
but from their working desk or steeple
they just look down to fog and mist
* * *
as from North to South there comes a sobered mother
whose only son willingly capsized, and so … yet another
jumped at the gate, which is red and sure not golden
the interfaith prayers place, once supposed to embolden
* * *
but as the clouds hiding up the flaws
empty promises will no longer keep
grooming claws poke the fog
while the widows gently weep
* * *
the Berkeley boy wearily neighed his last sigh
swamped with void and hazy without hope
seemingly unable to cope
– something long passed by
* * *
he made no call for a fudge refuge
where the only substance is the fog
just said : après moi, la deluge
to avoid real life’s slog
neighing prayers million-fold
often told on tipping toes
to mollify the mourners woes
not exactly what s been foretold
* * *
neither planes nor birds,
just geeks and nerds
sing their last lullaby,
goodbye to rhythm and rhyme
* * *
while we stand around and look
disingenuously disinterested
ready for the thumb shot smile
you got me!
* * *
*
* * *
(Yehuda Shenef, written Nov 16th, 2014)
Die Königskrähen krähen
Hoch oben auf den Plätzen
Gefüllte Bäuche blähen
Drum sitzen sie und schwätzen
Der Wind rüttelt an den Ästen
Ich sitz spazierend, lauschend
Zähl zu den seltnen Gästen
Am Krächzen mich berauschend
Vierzig krächzen in den Bäumen
Viel weniger sind es nie
Sie lassen mich krähend träumen
Vielstimmige Symphonie
Doch bald werden Autos brummen
Und sich die Bänke füllen
Mit Säufern, und mit Dummen
Die in ihrer Weise brüllen
Chana Tausendfels, Sonntag morgens, Juni 2014 am Augsburger Königsplatz
* * *
Einst ersannen die Weisen von Erfurt
Mal eben die Wieder-Geburt
Der längst schon vergessenen Juden
Und aus allen Bretterbuden
Meldete man noch ne Jungfrau’n-Geburt
* * *
The Elders of Erfurt
once the Elders of Erfurt
thought out headline-grabbing news
to rebirth long-forgotten Jews
so in any nook and cranny
they found claims to assert
* * *
Ich bin hier wegen der Musik
Nun ja, wegen dem Krach
Die Musik … oh Gott, es zieht mich runter.
Die ganze Zeit schon.
Ja, damals schon und jetzt.
Sicher, ich kenn die alte Leier
Nein, nein, sing weiter, bitte!
Na ja, es gibt so viel Zeug, dass ich noch nicht versteh
Wie schnell Tage zu Wochen werden und zu Monaten?
Und dann aber … bröseln Jahre sofort wieder
In einem bloßen Augenblick
Lautlos rieselnd … in der Sanduhr
Hat Gott die Zeit vielleicht nur erfunden,
damit nicht alles gleichzeitig stattfindet?
Ich liebe deine Musik
Wohl bevor ich überhaupt wurde
Vor langer Zeit
Wer weiß, wie lang schon
Wir dieses Lied sangen?
Gemeinsam mit dem Wind?
Aber bitte, es gibt so viel Zeug, dass ich noch nicht versteh
Wie schnell werden Tage zu Wochen und zu Monaten?
Und dann aber werden Jahre schnell wieder zu einem Augenblick
Rieselnd in der Sanduhr
Hat Gott die Zeit vielleicht nur deshalb erfunden,
damit nicht alles gleichzeitig stattfindet?
Ich weiß es nicht und
Ich versteh es nicht
… ich kam ja nur,
… weil ich die Musik sein wollte …
Chana Tausendfels
2. April 2000