Unser erster Text [in eigener Übersetzung aus dem Hebräischen, deshalb © ] aus Rambams Mischne Thora präsentiert das 6. Kapitel aus der Unterabteilung Hilchot Deot die eine Einführung für gutes Benehmen im Sinne der jüdischen Lehre darstellen. Zur Verdeutlichung der genaue verwandten Begriffe wurden an ggf. unklaren Stellen das entsprechende Wort aus dem hebräischen Originaltext, wie auch die entsprechenden zitierten Bibelstellen beigefügt.
l. Es liegt in der Natur des Menschen kontinuierlich von Gefährten (re‘a) und Kameraden (chawer) beeinflusst zu werden und sich nach der Verhaltensweisen der Leute seines Landes zu benehmen. Deshalb muss er sich mit Rechtschaffenen (zadikim) zusammentun und andauernd bei Weisen (chachamim) leben, damit er von ihren Taten lernt. Im Gegenzug sollte er sich fernhalten von den Selbstsüchtigen die in die Irre gehen, damit er nicht verleitet wird zu ihrem Tun. Das ist es was (König) Salomon ausdrückt: “Geh mit den Weisen und du wirst weise werden, doch wer sich mit Narren verbindet wird leiden.“ (Sprüche 1.20) und: “Glücklich ist der Mensch, der nicht dem Ratschlag des Bösen folgt“ (Psalm 1.1)
Lebt man in einen Land (medina) ist, in welchem die Verhaltensnormen übel sind und die Bevölkerung keinen geraden Weg geht, sollte man an einen Ort (makom) gehen, an dem die Leute Rechtschaffene sind und den guten Wegen folgen. Sollten nun aber alle Länder (medinot) mit denen man vertraut ist und von denen man Berichte hört, dass sie (auch dort) auf unguten Wegen wandeln — wie in unserer Zeit — oder wenn man nicht in ein Land (medina) gehen kann, in dem die Verhaltensmuster gute sind, sei aus militärischen oder aus gesundheitlichen Gründen, so lebt er besser allein in Abgeschiedenheit, wie es heißt (Echa 3,28): “Er soll alleine wohnen und still sein.“ Und wenn (dort) Frevler und Übeltäter sind, und wenn einem dieser Umstand nicht ermöglicht in dem Land (medina) zu wohnen, außer dass man sich unter sie mischt und sich nach ihrer unheilvollen Weise verhält, so ist es besser sich eine Höhle oder Felsspalte zu suchen oder in einer Einöde zu hausen, als selbst auf dem Weg des Frevels zu gehen. “Wer will mir in der Wüste ein Hotel für Gäste geben?“ (Jeremia 9,11)
2. Es ist eine bejahende Mitzwa (Gebot) sich den Weisen und ihren Schülern beizugesellen (‚anzuhaften’), um von ihren Taten zu lernen, wie es heißt (5. Moses 10, 20): “an IHM wirst du anhängen (‚anhaften’).“ Aber wie ist es einem Menschen möglich, sich der Schechina (Gegenwart Gottes) anzuhängen? Die Weisen (chachamim) erläuterten in der Erklärung (perusch) dieses Gebotes: “Hafte dich an die Weisen und ihre Schüler.“ Deshalb sollte man versucht sein, die Tochter eines Gelehrten (talmid-chacham, wörtlich “Schüler eines Weisen“) zu heiraten, mit den Gelehrten zu essen und zu trinken, für sie Handel zu treiben und sich mit ihnen auf alle Arten von Verbindungen einzulassen, wie es heißt (5. Moses 11,22) “um ihm anzuhangen.“ Und so geboten uns unsere Weisen: “Sitze im Staub ihrer Füße und trinke durstig ihre Worte.“
3. Es ist eine Mitzwa für alle, jeden Einzelnen in Israel zu lieben, denn es heißt “liebe deinen Gefährten wie dich selbst“ (3. Moses l9.18). Deshalb sollte man Lob aussprechen und sollte sich um ihren Wohlstand (mammon) gleichermaßen sorgen, wie man sich um seinen eigenen und das eigene Ansehen sorgt. Wer immer Anerkennung gewinnt durch die Erniedrigung seines Kameraden (chawer) hat keinen Anteil an der künftigen Welt (ha‘olam ha‘ba).
4. Wer einen Konvertiten (ger) liebt, der gekommen ist, unter die Schechina (Gegenwart Gottes) einzutreten, erfüllt zwei Mitzwot (Gebote): Zum einem, weil auch er (der Konvertit) ein Gefährte ist, und zum anderen, da er ein Konvertit ist und die Thora ausdrücklich betont: “liebe die Konvertiten (gerim).“ (5. Moses 10.19) Das Gebot Konvertiten zu lieben, gleicht dem Gebot Gott selbst lieben, denn es heißt auch: “liebe den Ewigen deinen Gott“ (5. Moses 11,1). Der Heilige-gelobt-sei-er (ha‘kadosch-baruch-hu) selbst, liebt die Konvertiten, da es wörtlich so gesagt wird “und er liebt den Konvertiten“ (5. Moses 10,18)
5. Wer immer in seinem Herzen einen aus Israel hasst, übertritt ein verneinendes Gebot, wie es heißt: “Hasse nicht deinen Bruder in deinem Herzen.“ (3. Moses 19,17) Man wird zwar nicht bestraft wenn man dieses Verbot verletzt, weil keine Tat inbegriffen ist, jedoch warnt die Thora uns vor dem Hass in unseren Herzen. Wer aber nun seinen Kameraden schlägt oder ihn beleidigt, was ihm natürlich nicht erlaubt ist, verletzt dadurch nicht (zusätzlich) das Verbot “du sollst nicht hassen“.
6. Wenn jemand einem anderen schadet, soll letzterer nicht still halten und ihn verachten, wie es Verächtliche tun: “Und Awschalom redete nicht mit Amnon, weder zum Guten noch zum Schlechten, denn Awschalom hasste Amnon.“ (2. Samuel 13.22) Er ist viel mehr geboten, die Angelegenheit bekannt zu machen und ihn zu befragen: “Warum hast du mir dieses und jenes angetan? Warum hast du mir in der gewissen Angelegenheit zuwidergehandelt?“ So sagt es die Thora: (3. Moses 19.17): “Halte deinem Kollegen (amit) die Vorwürfe vor“ Und wenn dieser ihn fragt ihm zu vergeben, so muss er ihm vergeben. Und der Vergebende sei nicht erbarmungslos, wie es heißt: “Und es betete Abraham zu Gott.“ (1. Moses 20,17)
7. Beobachtet man seinen Kameraden (chawer) bei einem Vergehen oder merkt dass er keinen guten Weg einschlägt, so gibt es das Gebot, zu versuchen, sein Verhalten zu verbessern und ihn zu informieren, dass er an sich durch seine verächtlichen Taten auch an sich selbst sündigt, da es eben heißt: „Halte deinem Kollegen die Vorwürfe vor“. Macht man seinem Kameraden Vorwürfe in Angelegenheiten die beide betreffen oder in solchen die ihn und Gott angehen, so muss man ihm entgegenhalten, was zwischen sie und uns getreten ist. Man redet mit ihm in aller Ruhe und in freundlichem Ton und klärt ihn darüber auf, dass man es nur zu seinem Guten sagt, um es ihm möglich zu machen, in die kommende Welt zu kommen. Akzeptiert er die Mahnung akzeptiert, ist es besser, wenn aber nicht, soll man ihn ein zweites Mal zurechtweisen und ein drittes Mal. Es ist immer so, dass man ein Mensch zurechtweisen muss, bis der Übeltäter ihn schlägt oder ihm sagt: “ich höre nicht zu“. Und jeder, der es in seiner Hand hat und dem es möglich war zu widersprechen, aber nicht widersprochen hat, ist verantwortlich für das Vergehen, denn es war ihm möglich zuvor zu widersprechen.
8. Wer seinen Kameraden ermahnt, soll ihn dabei nicht schroff oder herablassend ansprechen bis dieser verlegen wird, da es heißt: “lade nicht Sünde auf dich wegen ihm.“ (3. Moses 19.17) Die Weisen drückten es so aus: “Vermagst du ihn so zu ermahnen bis sich die Farbe seines Gesichts verändert?“ Die Lehre besagt: „Lade nicht Sünde auf dich wegen ihm.“ Daraus ergibt sich, dass es verboten ist, jemanden in Verlegenheit zu bringen. Entsprechend verhält es sich dann auch in der Menge, d.h. in der Öffentlichkeit. Selbst dann wenn einer der seinen Kameraden in Verlegenheit bringt, dafür auch nicht bestraft werden sollte, ist es doch ein beträchtliches Vergehen. In den Worten unserer Weisen: “Wer das Angesicht seines Kameraden erbleichen lässt, hat keinen Anteil an der kommenden Welt.“ Aus diesem Grunde muss man beachten, seinen Kameraden nicht in der Öffentlichkeit in Verlegenheit zu bringen, gleich ob dieser nun ein kleines oder großes Ansehen genießt. Man ruft ihn auch nicht bei einem Namen, dessen er sich schämt und erzählt keine Sache vor ihm, deren er sich schämt. In welchen Situationen ist das zu berücksichtigen? In allen, die zwischen einem Menschen und seinen Kameraden eintreten können. Betrifft es jedoch Angelegenheiten des Himmels (schamajim), so kann der Frevler in der Öffentlichkeit beschämt werden, insofern er (nach vorhergehenden Ermahnungen) nicht aus seiner Heimlichkeit (seter = Versteck) umkehrt und seine Delikte dürfen publik gemacht werden. Er darf sodann Schmähung, Spott und Entehrung ausgesetzt werden bis er bereut, wie es auch die Verfahrensweise aller Propheten in Israel war.
9. Wird man von seinem Kameraden geschädigt, will ihn aber nicht ermahnen und zu der Sache nichts sagen, weil der Übeltäter ein außerordentlicher Dummkopf (hedjot = Idiot, Ungebildeter) ist oder eine Psychose (Gemütskrankheit) auf ihm liegt und man ihm (deshalb) in seinem Herzen vergibt, ihn nicht hasst und ihn nicht verachtet – dann ist dies tatsächlich nach dem Glauben (daat) der Frömmigkeit (chassidut). Die Thora ist nicht besonders hart (pedantisch), außer mit denen die hassen.
1O. Man soll sich vorsehen um Witwen und Waisen, weil ihr Gemüt (nefesch) sehr unausgeglichen und ihr Geist (ru‘ach) schwermütig sind, selbst dann wenn sie Besitz (mammon) haben. Auch einer Königswitwe und den Waisen müssen wir uns in dieser Art annehmen, da es allgemein: “Misshandle nicht Witwen und Waisen.“ (2. Moses 22.21) Wie verhalten wir uns ihnen gegenüber? Man spricht mit ihnen nur freundlich und man verhält sich ihnen gegenüber nur ehrvoll. Man belastet sie nicht mit schwerer körperlicher Arbeit und ihr Inneres nicht mit schwierigen Problemen. Man zeige ihren Geldangelegenheiten mehr Aufmerksamkeit als den eigenen. Jeder, der sie belästigt oder erzürnt, sie verletzt, sie unterdrückt oder ihnen finanziellen Schaden verursacht, übertritt das Gebot. Dies gilt natürlich auch dann, wenn man sie schlägt oder verflucht. Und auch wo nicht alles davon unter direkte Strafen gestellt sein sollte, befällt jene, die sich so missverhalten, was in der Thora geschrieben steht: “Ich werde meinen Zorn ausbreiten und ich werde euch mit dem Schwert töten.“ (2. Moses 22.23)Ihnen, den Witwen und Waisen ist ein Bund (brit) zugesagt und Gott, der sprach und die Welt erschuf, versichert, dass solange wie sie ausschreien, weil man sie bedrückt, ihnen geantwortet wird, wie es heißt: “Denn wenn sie eine Klage nach mir ausschreien, werde ich hörend ihren Schrei erhören.“ (2. Moses 22.22): Wann gilt es all dies zu berücksichtigen? Dann, wenn sie jemand zu seinem eigenem Vorteil unterdrückt. Einem Gelehrten ist es jedoch gestattet Druck auf sie auszuüben, um sie die Thora zu lehren oder für ein Handwerk (urnanut, auch: Kunst) anzuhalten oder um sie auf einen geraden Weg zu führen – dies ist selbstverständlich sehr wohl erlaubt. Jedenfalls soll er sie dabei nicht wie andere behandeln, sondern eine Unterschied machen und sie mit Rücksicht, großer Barmherzigkeit und Respekt behandeln, da es heißt (Sprüche 22.22): “denn der Ewige kämpft ihren Streit.“ (Sprüche 22.22): Dies gilt zum einem für die verwaist sind von ihrem Vater und zum anderen für die, die verwaist sind von ihrer Mutter. Und bis wann sind Waisen in dieser Weise zu behandeln? So lange bis sie keine erwachsene Person zur Unterstützung, Anleitung und Versorgung brauchen, für sich selbst sorgen und für alle ihre Bedürfnisse in einer Art, wie alle anderen Erwachsenen, sorgen und handeln können.